Gedanken zum “Projekt Mitteldeutschland” von Rolf Becker

Rolf Becker, der schon seit Jahrzehnten als Sportjournalist die Sportart Badminton beobachtet und analysiert, hat auch während des Lockdowns keinen Grund mit der Berichterstattung zu stoppen. Besonders diese Zeit hat ihn dazu veranlasst die aktuelle Lage der sächsischen Badmintonvereine zu reflektieren und gezielt seinen Fragen auf den Grund zu gehen. Für dieses Interview hat er sich einen besonderen Gesprächspartner eingeladen, den jahrelangen Vizepräsidenten des DBVs und Abteilungsleiter der HSG DHfK Leipzig, Gerd Pigola. Becker und Pigola sprechen im Interview intensiv über die Situation in der Regionalliga und gehen auf mögliche Gründe des momentanen Trends ein. Im folgenden Abschnitt findet ihr das kritische Interview der beiden.

Gedanken zum Beitrag Projekt Mitteldeutschland von Paula-Elisabeth Nitschke am 21.10.2020

Sportjournalist Rolf Becker im Gespräch mit Gerd Pigola, Abteilungsleiter Badminton der HSG DHfK Leipzig

Als Sportjournalist begleite ich den Badmintonsport schon über drei Jahrzehnte, und betrachte die derzeitige Situation in Sachsen mit Sorge. Thüringen hat Sachsen leistungssportlich derzeit ganz klar den Rang abgelaufen, ist mit Guts Muths Jena in dieser Saison sogar erstmals in der 1. Bundesliga vertreten, und das mit einem Kader, der in Jena ausgebildet wurde oder aus dem mitteldeutschen Raum, auch aus Sachsen sind Spieler nach Jena gewechselt.  Badminton hat sich am dortigen Sportgymnasium etabliert. Der Erfolg gibt den Verantwortlichen recht, nur mit der Bündelung von Kräften und dem Schaffen eines optimalen Umfeldes ist es möglich, erfolgreiche Kader zu entwickeln, die vom Leistungsvermögen her einen Sprung in das DBV-Stützpunktsystem schaffen können. Über die aktuelle Situation in Sachsen führte ich das folgende Gespräch mit dem Abteilungsleiter der HSG DHfK Leipzig, Gerd Pigola, der bis 2018 25 Jahre lang auch als Vizepräsident DBV tätig und für den nationalen Spielbetrieb verantwortlich war.

Gegenwärtig spielt nur die HSG DHfK Leipzig in der Regionalliga. Wie bewertest Du die aktuelle Situation ?

Gerd Pigola: Es ist in der Tat bedauerlich. Wir hatten bessere Zeiten, einst spielten Zittau, Gittersee, Röhrsdorf, Zwenkau und TSV Dresden in der 3. Liga, es gab spannende Matches zwischen den sächsischen Vertretern. Dazu hatte sich Zittau als Fahrstuhlmannschaft zwischen 2. und 3. Liga etabliert und auch Röhrsdorf und DHfK spielten jeweils eine Saison in der 2. Liga. In der Saison 2019/2020 musste auch TSV Dresden die 3. Liga verlassen. DHfK schrammte knapp am Abstieg vorbei, und ist auch in dieser Saison, sollte sie denn irgendwann gespielt werden, ausschließlich mit dem Kampf gegen den Abstieg befasst. Sollte das passieren, gibt es in Sachsen einen weißen Fleck bezüglich überregionaler Ligen. Auch das Interesse sächsischer Vereine in die Regionalliga aufzusteigen ist nicht gegeben. Seit Jahren will kein Meister in die Aufstiegsrunde.

Wo siehst Du die Ursachen ?

Gerd Pigola:  Sachsen ist mit über 5.000 Aktiven der mitgliederstärkste Landesverband der neuen Bundesländer. Zurückblickend gab es zwei Ereignisse, die für den heutigen Leistungsstand verantwortlich sind. Die erste Fehlentscheidung lag schon im Gründungsjahr des Verbandes. Jeglichen Entwicklungen in Richtung leistungssportlicher Strukturen wurde eine Absage erteilt und als Utopie abgetan. Gerade in der Euphorie der ersten Jahre nach der deutschen Einheit wäre viel möglich gewesen. Die absolute Orientierung sollte auf der Nachwuchsentwicklung liegen. Nach 30 Jahren muss man sich fragen, wo ist er, der Nachwuchs aus dieser Zeit ?Eine zweite Fehlentscheidung bestand darin, Badminton als Sportart am Gymnasium in Seifhennersdorf zu entwickeln. Das Projekt scheiterte kläglich, der Standort war unglücklich gewählt. Eine Chance hätte das Vorhaben in Dresden, Chemnitz oder Leipzig gehabt, mit guter Verkehrsanbindung und mit großem Einzugsgebiet.

Es gab und gibt in Sachsen kein Konzept für eine leistungssportliche Entwicklung. Alle Bemühungen enden, wenn ein Aktiver den gut strukturierten Nachwuchsbereich verlässt.

Nun haben sich die Landesverbände Thüringen Sachsen-Anhalt und Sachsen zu dem „Projekt Mitteldeutschland“ bekannt, um gemeinsam die Entwicklung voran zu treiben. In Jena wird eine hervorragende Arbeit geleistet, die sportliche Kompetenz wird ergänzt durch Personen, die das erforderliche Umfeld bereiten, unter anderem durch den Präsidenten des Thüringer Verbandes, der glänzend vernetzt ist. Aber, auch das gehört zur Wahrheit: Das Erstligateam der Saison 2020/2021 spielt in der Stammformation mit drei Sachsen:

Laura Adam aus Zittau/DHfK, Annika Schreiber aus Stollberg /DBV-Nachwuchskader/Horner TV und Pit Hofmann aus Niederwürschnitz/DHfK.

Darüber hinaus liegt der Fokus natürlich auf der Entwicklung von Nachwuchskadern. Die Erwartungshaltung ist, pro Jahrgang ein oder zwei Talente zu entwickeln und evtl. zu delegieren.

Das ist Geschichte, was läuft aktuell ?

Gerd Pigola: Die Entwicklung des Sports in einer Region wird von Personen geprägt, die dafür sorgen müssen, dass die Rahmenbedingungen stimmen, organisatorisch, sportlich und auch finanziell. Da kann ich nur über meinen Verein sprechen und sehe zwei Aufgaben für uns.:

Wir müssen die Regionalliga erhalten, als Leuchtturm in der Region und als Auffangbecken für leistungsorientierte Spieler. Ein Leistungszentrum in Jena, finanziert durch die genannten Landesverbände, muss auch daran interessiert sein, höherklassige Einsatzmöglichkeiten für die Talente zu sichern, die es aktuell noch nicht, oder auch überhaupt nicht in die erste Reihe schaffen.

– Wir müssen selbst eine gute Nachwuchsarbeit leisten, stoßen aber an unsere Grenzen:

– Wir haben qualifizierte Trainer, die eine hervorragenden Job machen. Gerade die Jüngsten brauchen die besten Trainer. Die Trainer müssen aber bezahlt werden.

– Ergebnis unserer Arbeit: Wir sind durch den BVS im zweiten Jahr hintereinander als BVS-Talentzentrum berufen. Es gelingt aber auch uns nicht, ein tägliches Training anzubieten, weil ganz einfach Hallenzeiten fehlen.

– Das neue Jugendwettkampfsystem bringt den Verein finanziell und die Betreuer zeitlich in Grenzbereiche.

Dresden war mit der SG Gittersee und mit dem TSV Dresden doppelt in der Regionalliga vertreten. Was ist los in Dresden ?

Gerd Pigola: Zur Situation in Dresden kann ich als Außenstehender nur Vermutungen anstellen. Es gibt immer Umbrüche, personell in der Führung der Vereine und im Kader der Mannschaften. So spielte die SG Gittersee im letzten Jahr ihrer Zugehörigkeit zur 3. Liga mit Akteuren aus Sachsen-Anhalt, die mit dem Abstieg Dresden verließen. Inzwischen spielt ein Großteil dieser Mannschaft in Gera in der Regionalliga.

Wahrscheinlich sehen die leistungsorientierten Spieler in sächsischen Vereinen keine Perspektive.

Sehr hoffnungsvoll stimmt aber die hervorragende Nachwuchsarbeit in der SG Gittersee, es bleibt zu hoffen, dass dadurch wieder eine Mannschaft entwickelt werden kann, die zumindest in der höchsten sächsischen Liga das Leistungsniveau mitbestimmen kann.

TSV ist in der Saison 2019/2020 aus der Regionalliga abgestiegen und ich hoffe sehr, dass sie in der Sachsenliga durchstarten und den Wiederaufstieg anstreben. Aber auch der TSV muss personelle Verluste kompensieren. Insgesamt könnte Dresden mit in Dresden ansässigen Spielern eine hervorragende Regionalligamannschaft stellen.

Danke für das Gespräch,

Frohe Weihnachten

und bleib gesund

Rolf Becker